Das 2. Buch von Nella ......

Das Fibromyalgie-Syndrom - die Krankheit aus der Sicht von Nella Martinetti:

" Mein Nacken schmerzt, die Beine sind verspannt, auf der Höhe der Gesässmuskeln spüre ich etwas wie zwei Eisenstangen, die mir jede Bewegung unmöglich machen. Wenn sie mir doch den Kopf abschneiden oder den Hals umdrehen würden wie dem Huhn, das ich heute im Kochtopf hatte, nur damit ich nicht mehr so leiden muss!
Positiv denken nützt in diesem Moment gar nichts mehr, es ist ein Witz. Wenn der Schmerz da ist und keine Arznei mehr dagegen hilft, kein Medikament sich mehr gegen ihn behaupten kann, dann ist der Schmerz da und basta. Ich möchte mir den Rücken mit Öl und erfrischenden Salben einreiben können, mich in Dämpfe einhüllen, die mir Erleichterung verschaffen und den schmerzhaften Muskelknoten in meinem Nacken lösen würden. Heute Abend ergreift mich die Wut wie vor einem Jahr und ich schaffe es kaum, meinen Zorn zu kontrollieren.
Nun verstehe ich meine Mutter, die am Trigeminusnerv litt, sie sagte einmal: Sollen sie mir doch ein Messer ins Zahnfleisch bohren, wenn es nur hilft, dass ich nicht mehr unter diesen höllischen Schmerzen leiden muss."

Fast fünf Jahre nach ihrem ersten Buch "Fertig lustig" veröffentlichte Nella ein beeindruckenden Buch bzw. intimes Tagebuch über den Umgang mit ihrer Krankheit.

Nella Martinetti im Jahre 2005.

Das erste Buch, die Biographie von Nella.

" Nella Martinetti - Fertig lustig"
von Gabriella Baumann-von Arx


"Obwohl ich Nella schon immer gut mochte, war mir der Grund meiner Sympathie unbekannt. Nach der Lektüre dieses Buches, welches ich in einem einzigen, grossen Atemzug gelesen habe, weiss ich es. Ebenfalls weiss ich, weshalb ich mich gelegentlich schützend vor allzu harsche Kritik stellte, die gegen sie gerichtet war. Und endlich weiss ich auch, warum ich manchmal betroffen wegschaute, wenn mich Fotos von ihr etwas unangenehm berührten.

Das Buch führt uns durch Nellas seelisches Labyrinth. Die Öffentlichkeit weiss vieles, aber noch lange nicht alles. Das, was sich im Rampenlicht abspielt ist ein kleiner Bruchteil dessen, was ihr Leben ausmacht. In Gabriella Baumanns Porträt ist all das zu erfahren, was nicht in den Zeitungen steht, was sich hinter der Bühne abspielt, wenn Nellas Lieder verklungen und die Lichter gelöscht sind, wenn sie nachts nicht schlafen kann und wenn sie nur noch Medikamente davor schützen, in ein dunkles Loch hinunter zu fallen. "

Zitat Julia Onken

Hier einige Ausschnitte aus dem Buch "Fertig lustig"

(...) Dass niemand etwas gemerkt hat, war ein Wunder oder schlicht Verdrängung. So nach dem Motto, was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Auf alle Fälle machte es weder mich noch meine Mutter oder meinen Vater stutzig, dass ich mich jeden Morgen übergeben musste. Mir ging es elend schlecht.

Als ich endlich begriff, dass mein Zustand nichts mit einer Magenverstimmung zu tun hatte, ging ich zu unserem Hausarzt. Er fasste mir an den Bauch und sagte: «Du hast das typische Bäuchlein einer Frau, die in Erwartung ist». (...)

Damals arbeitete ich schon als Kindergärtnerin und wusste, dass ein Kind im Moment nicht in Frage kam. Ich wollte zuerst mal arbeiten, Karriere machen. Und dann war da noch was: Paolo und ich waren noch viel zu jung, um Eltern zu werden.

Wir hatten keine Ahnung, an wen wir uns wenden sollten (...)

Drei Tage später bekam ich von einer Freundin die Adresse von einem Arzt in Mailand. Also fuhren wir dorthin (...)

Im Wartezimmer sassen viele andere Frauen, und ich hatte dieses grässliche Gefühl von grenzenloser Scham. Der Arzt untersuchte mich und meinte, es müsse schnell gehen, nach der zwölften Woche mache er die Abtreibung nicht mehr und – es kostet 3000 Franken. (...)

Paolo holte mich bei Tagesanbruch mit dem Auto ab. Ich stieg ein, zeigte ihm die 2000 Franken, die ich mir von einer Kollegin geliehen hatte, und fragte ihn nach den 1000, die er beisteuern sollte. Er hatte sie nicht dabei. Ich schrie, ich weinte, ich bettelte. Wir stritten. Endlich stieg Paolo aus.

Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Ich wollte das Kind, ich wollte es nicht, ich wollte es und wollte es nicht, ich wusste nicht, was ich wollte, ich schwebte zwischen Himmel und Erde. Alles war so unwirklich.

(...) In Mailand angekommen, gingen wir sofort zum Arzt. Wieder Wartezimmer. Keine Scham diesmal, sondern Ohnmacht. Als ich endlich ins Sprechzimmer geführt wurde, begrüsste ich den Arzt mit einem überschwänglichen «Buon giorno, dottore!» Er erwiderte meinen Gruss nicht. Kein Wort sagte er. Er war unrasiert und hatte noch Schlaf in den Augen.

Dann weiss ich nichts mehr. Die Narkose wirkte, und als ich aufwachte, sass Paolo neben mir. Ich fragte ihn, ob er mich heiraten würde und er sagte ja, ja, ja.

(...) Zu Hause angekommen, blutete ich wie verrückt. Meiner Mutter sagte ich, ich müsse mich hinlegen wegen starker Menstruation. Und lächelte sie dabei an. In mir drinnen weinte es.

Am nächsten Tag arbeitete ich wieder wie gewohnt, und irgendwann hörte auch die Blutung auf. Doch psychisch war ich eine einzige Wunde.

Als wir einmal im Maggiatal zum Essen eingeladen waren, wurde ich einer jungen Familie vorgestellt, die soeben ein Baby bekommen hatte. Es war noch sehr winzig; ich nahm es in die Arme, und mein Herz krampfte sich zusammen und pochte im Rhythmus zum Gedanken Du-hast-deins-getötet, Du-hast-deins-getötet.

An diesem Abend war die Sehnsucht nach einem eigenen Kind unbeschreiblich gross, so gross, dass jede Faser meines Körpers schmerzte, Ich kann dieses Gefühl jederzeit wieder hervorholen. Die Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Familie. (...)